Angeblich der erste Spionage-Roman der Weltliteratur.
Ein Buch über die ostfriesische Küste, ohne Bilder, geschrieben
von einem Iren, vor dem Ersten Weltkrieg, mit einer anrührenden Liebesgeschichte
und viel Seglerromantik, voller Spannung durch eine das Buch tragende Spionagegeschichte
um Krieg, Verrat und Flottenrüstung.
Dieses Buch ist von einem Segler und Liebhaber der friesischen Landschaften
geschrieben worden. Und um es voll genießen zu können, sollten
Leserinnen und Leser diese Leidenschaften teilen. Denn die Spionage-Handlung
wirkt nur vor diesem Hintergrund. Denn für sich genommen verlangt die
Handlung recht viel an historischen Kenntnissen über die Zeit der Jahrhundertwende,
für manche sicherlich zu viel, als dass sie die Spannung nachvollziehen
könnten.
Wir schreiben das Jahr 1903. Zwischen Deutschland und England herrscht
eine latente Spannung. Eine ganze Reihe Affären und Missverständnisse
hat das Problem der deutschen Flottenrüstung angeheizt. Unter Kaiser
Wilhelm II verfolgt Admiral v.Tirpitz das Konzept einer "Risikoflotte", nach
dem es für England ein Risiko darstellen sollte, einen Krieg mit Deutschland
zu erwägen. England, bis dato unangefochten die stärkste Seemacht
der Welt, fühlte sich herausgefordert. Damit wird naturgemäß
die Nordsee zum möglichen Kriegsschauplatz. Nun gibt es an der Wattenküste
Deutschlands keine natürlichen Tiefwasserhäfen für große
Kriegsschiffe. Ein Wettrüsten mit Großschlachtschiffen, wie von
Wilhelm II begonnen, erwies sich in der deutschen Bucht als letztlich sinnlos.
Dies sollte Grundwiderspruch und Achillesferse der deutschen Flottenpolitik
vor dem Ersten Weltkrieg bleiben.
An genau dieser Stelle setzt Childers' Buch an. Die ersten Seiten beschreiben,
wie sich die Engländer Charles Carruthers und Arthur Davies zum Segeln
in der Ostsee verabredet haben. Carruthers wird nur langsam warm mit seinem
alten Freund, den er lange nicht gesehen hatte. Sie beginnen, in der Nähe
von Kiel ein wenig die Küste entlangzufahren, doch es zeigt sich, dass
Davies unbedingt wieder in die Nordsee zurück möchte, wo er zuvor
eine sehr merkwürdige Begegnung mit einem Herrn Dollmann gehabt hatte,
die ihn beinahe das Leben gekostet hatte. Dieser Dollmann scheint denn auch
etwas zu verbergen zu haben. Der Weg vom Ende des Nord-Ostsee-Kanals bis nach
Memmert, immer auf der Suche nach Dollmann und der Lösung des "
Riddle
of the Sands", wie das Buch im englischen Original heißt, füllt
dann den Rest des Buches. Nach einer schwierigen Durchquerung der Sände
in der Elbmündung durchsegeln die beiden das Wattenmeer zwischen den
ostfriesischen Inseln und dem Festland, kommen schließlich in Memmert
an und finden dann des Rätsels Lösung, das am Ende nur wenig mit
Memmert, aber viel den Orten, die auf -siel enden (wie Greetsiel und Carolinensiel)
zu tun hat. Sie sind auf geheime Rüstungspläne der Deutschen und
einen veritablen Verräter gestoßen und retten obendrein eine wunderbare
Frau.
Zur Auflösung des Rätsels
Den Reiz des Buches machen drei Dinge aus: Das eine ist das Lokalkolorit.
Wer sich ein wenig in der Gegend auskennt, wird diese Geschichte lieben.
Das andere ist das Seglermotiv. Die Passagen, in denen der Autor das Segeln
beschreibt, z.B. die Fahrt in Nacht und Sturm durch das Watt, sind großartig.
Das dritte ist die Spionagehandlung. Sie ergibt sich aus dem historischen
Rahmen und ist ohne ihn praktisch unverständlich. Der große Schwachpunkt
des Buches ergibt sich aus der vergleichsweise unmotiviert hineingebauten
Liebesgeschichte, die doch recht unbeholfen bleibt.
Wer mit der Nordsee, mit Geschichte, mit Segeln oder mit Spionagegeschichten
etwas anfangen kann, sollte dieses Buch lesen. Durchaus möglich, dass
es dann auch gefällt. Wer mit Watt, Segeln und Ostfriesland nichts
anfangen kann und nicht über eine schwächelnde Liebesgeschichte
hinwegsehen kann, sollte die Finger von dem Buch lassen.
Links:
Der
Fernsehfilm von Radio Bremen, mt einer kurzen Darstellung
des
historischen Hintergrundes. Ein
Darstellung innerhalb der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs
gibt es hier, hier eine
andere
englische Rezension und hier noch eine
weitere Rezension. Online-Versionen des englischen Originals
gibt es
hier und
hier und
hier und
beim
Projekt
Gutenberg.
Beachten Sie, dass 1999 eine Art "Fortsetzung" erschien: Sam Llewellyn.
Tödliches Watt. Der Autor versucht, in der eingeführten
Szenerie von Childers' Roman eine neue Handlung aufzubauen.
Des Rätsels
Lösung
Die Lösung des Rätsels ergibt sich am Ende daraus, dass in diesem
Roman die deutsche Kriegsmarine einen Plan zur Invasion Englands ausgearbeitet
hat, der sich eben nicht um Großkampfschiffe und Tiefwasserhäfen
dreht, sondern der davon ausgeht, dass unbeobachtet von den großen
englischen Schiffen hinter den ostfriesischen Inseln eine Invasionsflotte
in kleinen, flachen Leichtern zusammengeführt werden kann. Diese könnten
dann in einer ruhigen Nacht an die extrem flachgründige englische Ostküste
geschleppt werden, wo die Truppe anlandet und keinerlei Verteidigung vorfindet.