Marginalia Futurologica 16 (2008)

 

Science Fiction und das Ende der bemannten Raumfahrt

 

In diesem Jahr, 2008, ist das ATV „Jules Verne“ der ESA erstmalig zur Internationalen Raumstation geflogen. Erstmalig hat es die ESA geschafft, auf eigene Rechnung und mit eigenem Material Nachschub zur Raumstation zu schaffen.

Das ist sicherlich ein großer Schritt für Europa. Aber ein unbemanntes Versorgungsraumschiff hatte die Sowjetunion mit Progress-1 schon 1978 gestartet, um die Saljut-Station zu versorgen.

Seit einigen Monaten wird bei der ESA darüber nachgedacht, das ATV auch in einer Rückkehr-Variante zu bauen – eine Art Landekapsel, um Astronauten wieder heil zur Erde zurückzubringen.

Vergleiche drängen sich auf zum Wostok-Programm (1961) – nur ein Kosmonaut; zum Woschod-Programm (1964) – drei Kosmonauten. Oder auch zum Sojus-Programm (ab 1963 bis heute) - mit drei Kosmonauten. Oder zu Mercury (1962, nur ein Astronaut); Gemini (1965) mit zwei und Apollo (1968) mit drei Astronauten. Oder auch zur Sojus-Kopie Shenzhou (2003) aus China. Oder zur zukünftigen Orion-Serie der USA, die nicht vor 2016 fliegen wird.

Mit anderen Worten: Die großen Raumschiff-Serien sind alle über 40 Jahre alt. Und ein bemanntes ATV oder die Orion-Serie sind wiederum aufgewärmte Ideen aus den 1960ern. Hermes und Dyna-Soar sind nie geflogen, Ideen, die X-15 ins All zu schicken, wurden nie weiterverfolgt.

Und weil die Space-Shuttles ab 2010 oder 2012 nicht mehr fliegen werden, heißt das, dass außer Shenzou und Sojus demnächst keine anderen bemannten Raumschiffe fliegen werden – wenn überhaupt. Das Ende der ISS steht bevor, Europa und die USA werden über Jahre nicht in der Lage sein, autonom Astronauten in den Orbit zu schicken – vom Mond gar nicht zu reden.

Bemannte Raumfahrt befindet sich in nicht nur in einem Engpass, was die Transportkapazität angeht, sondern auch in einer Legitimationskrise: Was darf es denn kosten? Was soll es kosten? Und was bringt es überhaupt? Nicht nur in Europa, auch in den USA oder in Russland wird diese Frage gestellt: Und die neuen Pläne werden gekürzt, heruntergefahren und gestreckt. Selbst die Chinesen haben ihr Programm nur auf Sparflamme laufen. Raumfahrt ist nicht sexy, Raumfahrt bringt keinen Ruhm und keine Ehre, sondern nur Haushaltsdefizite.

 

Was das mit Science Fiction zu tun hat? Je länger die Apollo-Missionen zurückliegen, umso mehr wird der Flug zum Mond wieder Stoff für Science Fiction. Vor fast 50 Jahren verkündete J.F. Kennedy das Ziel des Mondfluges, vor fast 40 Jahren war es erreicht – und seit 1972 betrat kein Mensch mehr den Mond. Wird es gelingen, es noch einmal zu tun? Wird die Menschheit den Weg zum Mond noch einmal finden? Und wie wird es Astronauten ergehen, die in 20 Jahren zum Mond fliegen werden? Geboren sind sie schon, vielleicht sind sie schon irgendwo in der Schule. Nur – wenn diese Programme doch noch verschoben werden, abgesagt werden, dann dauert es noch eine ganze Generation, bis wieder Menschen etwas Interessantes im Weltall tun.

Themen, die in den 1960ern Alltag waren, erscheinen plötzlich wieder in der Zukunft. Der Flug zum Mond wandelt sich unter unseren Augen von einem historischen Faktum zu einer Vision für die Zukunft. Wir wissen nicht, mit welchen Fahrzeugen, mit welchen Besatzungen, mit welchen Idealen. Wir wissen nicht wann, von wem, mit wem. Das NASA-Programm hat offiziell nach dem Mond den Mars im Visier – auch das liegt heute in erheblich weiterer Ferne als sich das die NASA der 1960er gedacht hatte.

 

Hier liegt eine Chance für Science Fiction.

 


© Matthias Bode und non volio 2008