Marginalia Futurologica 1 (2003)

Früher sah ich Captain Future, heute bin ich Trekkie.

Anmerkungen zu einer prägenden Fernsehserie

Als ich klein war, lief Captain Future im Fernsehen. Im ZDF, irgendwo am Nachmittag. Irgendwie verbinde ich diese Erinnerung mit Anke Engelke. Aber das täuscht wahrscheinlich. Aber Captain Future liebe ich noch immer. Irgendwie jedenfalls. Neulich, ich bin mittlerweile Anfang 30, sah ich mir das ganze noch einmal an. Es ist ein Wühlen in Kindheitserinnerungen. Das ist wie jenes Gefühl, das einen überkommt, wenn man mit 30 noch mal nach Horumersiel fährt, wo man alle Sommer zwischen 7 und 14 mit den Eltern verbringen musste. Irgendwie schön, interessant, sicher, aber auch bestürzend. Denn ich kam ins Nachdenken. Was war eigentlich so toll an Captain Future, damals? Wo es doch offensichtlich Schrott ist? Vielleicht liebe ich Captain Future vor allem, weil er mich an meine Kindheit erinnert. Und in der Erinnerung ist alles viel schöner, als es tatsächlich war. Aber irgendetwas war an der Serie dran, was mich faszinierte.

Die Fernsehserie Captain Future ist eine japanische Produktion, erkennbar an den typischen Gesichtern mit den großen Augen und den Stupsnasen, wie sie heute die Mangas auszeichnen. Sie stammt aus den Jahren 1978-79 und wurde für den internationalen Fernsehmarkt produziert. In ganz ähnlichem Stil waren Biene Maja und Heidi gestaltet worden, wobei die natürlich nicht so cool waren. Die Serie wurde Anfang der 80er Jahre im ZDF gezeigt, und dann verschwand sie lange in der Versenkung, bis sie in den 90ern auf den Sendern der Kirchgruppe abgenudelt wurde. Angesichts der Veröffentlichung der Serie auf DVD möchte ich hier die Gelegenheit nutzen und alle Kaufinteressenten davor zu warnen sie zu kaufen. Leiht sie euch auch nicht aus. Schaut sie einfach nicht nochmal an. Es tut weh.

In der deutschen Fassung existieren zwölf Episoden mit je drei und eine mit vier Folgen. Das erklärt sich dadurch, dass ursprünglich alle Episoden vier Folgen hatten, die deutsche Synchronisation diese jedoch neu zusammengeschnitten hat. Warum dies bei einer Episode nicht geschah, bleibt wohl ein Geheimnis. Das Ergebnis ist eine unglaubliche Stümperei, da ganzen Folgen der Sinn amputiert wurde. Nebenbei wurden die Folgen auch noch in der falschen Reihenfolge gesendet, d.h., in der ersten Sendefolge sind Erinnerungen an Geschehnisse späterer Folgen enthalten. Es war wohl „Fließbandarbeit“, die ein sorgfältiges Nachdenken überflüssig machte. Die Handlungslogik ist bei vielen Folgen schlicht dahin. Die Logik kann es nicht also gewesen sein, die mich mit 11 daran fasziniert hat.

Die Folgen sind so schlecht, dass es einem die Zehennägel hochrollt. Die Handlung ist zum Teufel, der Schnitt unsäglich und die Kommentare des Erzählers altväterlich, und obendrein auch noch unerträglich falsch. Ein schönes Beispiel für den hanebüchenen Unsinn, den die deutsche Synchronisation verzapft hat, ist die Einleitung des Erzählers zur Episode „Auf der Suche nach der Quelle der Materie“, was auch immer das nun sein mag. Er sagt, dass unsere Galaxis aus 200 Milliarden Planeten besteht, die sich alle um die Sonne drehen. Quatsch dieses Niveaus zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Serie. Er liegt darin begründet, dass die Drehbuchautoren schlicht den Unterschied zwischen Sonnensystem und Galaxie (bzw. Milchstrasse) nicht kannten. Die Vorlage von Edmond Hamilton war fast ausschließlich in unserem Sonnensystem angesiedelt. Zu Zeiten der Zeichentrick-Umsetzung war das Sonnensystem aber wohl schon zu klein geworden, und so mussten die "unendlichen Weiten" der Galaxis herhalten. Nebenbei werden ohne Not Handlungsorte verlegt, was vor allem dann stört, wenn die Handlung eigentlich aufeinander aufbaut. Zu den weiteren Ungereimtheiten gehört die Frage, ob die Regierung in New York die des Sonnensystems oder der Galaxis oder des Universums ist – alle drei Varianten sind zu hören, und die Redakteure scheint es nicht gestört zu haben.
Positiv sind an der deutschen Bearbeitung vor allem zwei Dinge: Der eine Höhepunkt der Serie sind die Synchronsprecher für Grag – Friedrich G. Beckhaus – und für Otto – Wolfgang Völz. Sie müssen einen Riesenspaß gehabt haben, ständig aufeinander herumzuhacken. Dies haben sie ja auch schon 15 Jahre vorher schon einmal gemacht: An Bord der Orion in der Serie „Raumpatrouille“ mit Dietmar Schönherr und Eva Pflug. Der andere Höhepunkt ist die deutsche Filmmusik: Ein Nebeneffekt der japanischen Billigproduktion war, das Stimmen, Geräusche und Musik auf einer Tonspur lagen – also musste die Synchronisation auch eine neue Musik liefern. Sie stammt von Christian Bruhn, der auch für viele andere Fernsehserien die Musik gemacht hat. Es singt seine Frau Erika (Erinnert ihr euch noch an Gitti und Erika?). Diese Titelmusik ist ein Klassiker geworden. Zu recht, wie ich finde. Aber der Titelsong und Wolfgang Völz allein können es nicht sein, die mich als Junge fesselten.

Was ist es, das den Reiz der Serie ausmacht? Sind es die Personen? Sind es die Geschichten? Captain Future war ein US Pulp Magazin, das in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts erschien und versuchte, Superhelden und Science Fiction zu verbinden. Helden gab es im amerikanischen Comic-Markt genug, Superman, Batman, Spiderman, das Phantom usw.. Weltraumgeschichten á la Flash Gordon auch. Der Autor Edmond Hamilton hatte mit Captain Future einen für Recht, Ordnung und das Gute kämpfenden Helden geschaffen, der statt in Gotham City im Weltall unterwegs war. Davon scheint in der Serie eigentlich nicht viel übrig geblieben zu sein. Oder doch? Jedes Mal, wenn die Regierung in Schwierigkeiten ist, ruft sie den Captain mit seiner „Komet“ zu Hilfe. Und der rettet dann die Erde. Oder so. Doch wieso? Was motiviert den Captain? Wir wissen es nicht. Ein wenig Hintergrundgeschichte hätte den Fernsehfolgen gut getan. Wir haben keine, und nur einige Unverzagte, die die bei Bastei oder bei Pabel erschienenen Romane gelesen haben oder Internet auf irgendwelchen Fan-Seiten nachgeschaut haben, können folgende Geschichte anbieten:

Captain Futures richtiger Name ist Curtis Newton, der in der Fernsehserie jedoch nie erwähnt wird. Seine Eltern werden umgebracht, nachdem Papa Newton eine Heer von Arbeitssklaven für die Menschheit bauen wollte und mit Grag und Otto auch zwei Prototypen erschaffen hat. Sie ethisch-moralische Fragwürdigkeit des ganzen Konzepts braucht sicher nicht erst betont werden. Der kleine Junge wird von Grag und Otto auf gezogen. Als er größer wird, nennt er sich selbst Captain Future und beginnt seine mutigen Kämpfe gegen die Bösen, um Frieden und Gerechtigkeit im Weltraum zu bewahren. Grag und Otto sind seine Gehilfen bei diesem Vorhaben, und sie sind nebenbei noch ständige Quelle "lustiger" Sprüche - in der Serie zumindest. Ezella Garnie, Captain Futures bester Freund, ist der ruhige und kluge Kommandant der Weltraumpolizei. Erstaunlich, dass er diesen Job bekommen hat bzw. ihn behält, wenn man bedenkt, wie er herumstümpert und sich ständig von unserem Superhelden helfen lassen muss. Den Vogel schießt jedoch Joan Landor in der Serie ab. Sie ist eine junge und hübsche Geheimagentin der Planetenpolizei. Offensichtlich ist sie in Captain Future verliebt. Eigentlich müsste sie in der Hälfte der Episoden ihren Job verlieren für ihre Dämlichkeit, aber das ist wohl Absicht, damit der Captain sie retten kann. Und dabei Sprüche klopfen kann wie etwa: „Nein, Joan, das ist zu gefährlich für eine Frau.“ Und einfach nur albern ist der junge Ken Scott, der naseweise Teenager, der die Wissenschaft liebt und Captain Future bewundert. Diese Figur ist dramaturgisch von vorn bis hinten überflüssig, ist wohl, wie man liest, auch in den Buchvorlagen nicht enthalten. Sie erinnert an Wesley Crusher aus Star Trek – TNG, der ebenfalls überflüssig war.

In dieser Personenkonstellation dürfte der Grund für die Faszination der jungen Zuschauer (lies: meiner Faszination) gelegen haben. Wir haben hier die klassische Gruppe von beziehungslosen Einzelgängern vor uns, die wir für Heldengeschichten brauchen. Anklänge an Batman sind nicht zu übersehen. Captain Future ist groß, stark, klug und – na ja, – verhältnismäßig gut aussehend. Er hat eine Frau, die ihn anhimmelt. Er steht immer auf der Seite der Guten in seinen tollen Abenteuern. Er hat coole Freunde: Otto und Grag sind genau jene Typen, mit denen man selbst – wenn man 11 Jahre alt ist und von Abenteuern träumt – rumhängen möchte. Und Ken, na ja, mit dem kann man sich direkt eins zu eins identifizieren. Er ist wohl direkt für die Jungs vor dem Fernseher mit eingebaut worden. Alles in allem ein Traum für Jungs. Kein Wunder übrigens, dass sich die Frauen meines Alters nicht an diese Serie erinnern können. Was haben die eigentlich geschaut? Enid Blytons "Fünf Freunde"? Der Captain wohnt allein, in seiner geheimen Basis. Auch dies ist ein Traum für Jungs, die sich wünschen, nicht mehr das Zimmer aufräumen zu müssen und die mit ihren Freunden geheime Pläne aushecken um irgendwelche unaussprechlich geheimen Dinge zu tun. Habe ich auch gemacht, ich weiß aber nicht mehr, worum es ging. War wohl nicht so wichtig. Und der Captain kann mit seinem eigenen Raumschiff (Woher er es hat, erfahren wir nie. Ist wohl auch nicht so wichtig.) fliegen wohin er will. Er entdeckt Geheimnisse. Er bekämpft das Böse. Er reist durch die Zeit und bereist den Weltraum. Er küsst Joan. Das ist wie „Huckleberry Finn“ und „Schatzinsel“ und „Raumschiff Enterprise“ und „Der Graf von Monte Christo“ und „James Bond“ in einem.

Der Weltraum war Anfang der 1980er Jahre wieder in. Der Space Shuttle flog 1982 zum ersten Mal. Es war die mittlerweile zerstörte Columbia, die Gedanken an das Leben im Weltraum und die Besiedlung des Erdorbits und des Mondes wieder denkbar machte. Mich hat das fasziniert. Und Captain Future war schon da. Er wohnte schon auf dem Mond. Vielleicht lag die Faszination dieser Serie nicht nur in der cleveren Personenkonstellation und den absurden Plots, sondern auch daran, dass es nichts vergleichbares gab. Irgendwann lief kurzfristig „Per Anhalter ins All“, aber das war bei weitem nicht so absurd cool wie unser Captain. Douglas Adams’ Serie war etwas für die Großen, beinahe eine Serie für Intellektuelle. Die „Enterprise“ von Captain Kirk lag nur in schon endlos wiederholten Folgen vor, „Raumpatrouille“ Orion war zu kurz und wurde auch nicht oft genug wiederholt, um bei uns Kultstatus zu bekommen. Die Serie war außerdem in Schwarz-Weiß und hatte etwas „Elternhaftes“ an sich. Die „Orion“ flog in den 60ern. Die „Komet“, das waren die 80er Jahre. Kleine Computer, supercoole Armbanduhren. Unsere Zeit. Und so traf „Captain Future“ einen Nerv einer ganz bestimmten Altersgruppe. Nur „Captain Future“ war auf eine brachiale Weise zielgruppenorientiert. Die Plots haben Action, aber haben Lücken, so groß, dass die "Komet" durchfliegen kann. Die Charaktere sind auf 11-jährige Jungs zugeschnitten, die nach Idolen und Vorbildern suchen. Ich habe die Komet aus Lego nachgebaut. Wir sahen „Future“, bekamen dann bald unseren ersten C64 und gingen Physik studieren. Und lernten Star Trek kennen. Man kann auch über Star Trek lästern, aber so grenzdebil wie "Captain Future" ist die Truppe um Picard und Data nicht. Die Drehbücher sind besser, es wird mehr nachgedacht, der Hintergrund ist allen Technobabbels zum Trotz in einer Weise stimmig, wie das Hamilton selbst nie hinbekommen hat, von der Fernsehserie gar nicht zu reden.

Früher sah ich "Captain Future", heute bin ich Trekkie, ein Satz, den auch eine Reihe weiterer Alt-Fans werden unterschreiben können. Jene Alt-Fans, die vielleicht darüber nachdenken, die DVD zu kaufen. Aber genau jenen Alt-Fans der Serie möchte ich nochmals ganz dringend davon abraten, sie noch einmal zu sehen. Der Preis der DVDs oder der Aufwand, den ihr treiben müsst, um nächtelang alle Folgen herunterzuladen, stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Erinnert Euch an die alten Dinge, erinnert Euch daran, wie es war, als ihr klein wart. Aber schaut auf keinen Fall mit dem Verstand von heute, wo ihr Anfang, Mitte 30 seid, die alten Folgen. Ihr zerstört die Erinnerung an Eure Kindheit.

So ging es mir, und deshalb habe ich diesen Essai geschrieben.

© Matthias Bode und non volio 2003


Quellen und Links:
Die sachlichen Informationen über die Serie und die Romane stammen aus einem Text, der im Internet unter der Adresse http://www.epguides.de/cf-faq.htm zu finden ist. Er stammte zunächst von Torsten Kracke, der die Adresse mit Material zu Fernsehserien verwaltet. Er wurde von Florian Baumann mit Hilfe vieler anderer überarbeitet. Deren Leistungen werden hiermit ausdrücklich anerkannt. Was die einzelnen Folgen angeht und ihren Inhalt, so sei an dieser Stelle ausdrücklich auf deren Episodenführer verwiesen. Es sei angemerkt, dass die Redaktions-Rezension von amazon zur DVD offensichtlich auch diesem Text "angelehnt" ist.

Wir verweisen auf  Captain Future - A Discovery von Jörg C. Kachel aus der Reihe SCREENSHOT.

Weiterhin möchte ich auf das folgende Buch hinweisen:
Hardy Kettlitz: Edmond Hamilton. Weltenzerstörer und Autor von Captain Future. Shayol Verlag Berlin 2003 ISBN3-926126-25-6
Die Autoren verstehen es mit bitterer Schärfe deutlich zu machen, dass Hamilton oft genug völligen Schwachsinn abgeliefert hat und nur selten wirklich gute Geschichten geschrieben hat - Captain Future gehört definitiv nicht zu ihnen.