Das Schartenburg – Projekt

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Teil 1 Beschreibung der Burg,  erschienen Dezember 1894
Teil 2 Geschichte der Burg, erschienen Januar 1895

Schartenberg

von Dr. Wilhelm Chr. Lange

Teil 2 Geschichte der Burg, erschienen Januar 1895

Die Zeit der Erbauung der Burg Schartenberg ist, wie es bei vielen unserer alten Bergschlösser der Fall zu sein pflegt, in tiefes Dunkel gehüllt, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass die vorspringende Kuppe des Burgbergs lange vorher, ehe die Geschichte uns den Namen der Burg nennt, schon eine Befestigung getragen hat.
Die alte Grenze, welche den Stamm der Sachsen von dem der Franken trennte, lief nämlich, wenn auch viel umstritten, lange Zeit über die Stätte unserer Burg hin. Wie die im vergangenen Jahre vorgenommenen Ausgrabungen (von Dr. Schuchardt in Hannover und Dr. Böhlau in Cassel) zweifellos ergeben, zog sich eine uralte Walllinie von Knickhagen a. d. Fulda über Holzhausen, Waizrodt, Mariendorf, Udenhausen, Butzbach, Kelze, Friedrichsthal nach Meimbressen und von hier direkt nach Westen, wo es jetzt noch die Landwehr heisst, auf den Frankenteich zu, 20 Minuten östlich von Schartenberg, und suchte zweifellos dort Anlehnung.
Wenn wir in östlicher Richtung den Wald nach dem Frankenteich zu durchschreiten, treffen wir oben auf der Höhe des Berges einen kreisrunden, mit vereinzelten Eichen bestandenen Platz, welcher den Namen Turnierplatz führt und in vergangenen Jahrhunderten wohl dazu diente, den Insassen der Burg Gelegenheit zu geben, ihre Rosse zu tummeln; nördlich von ihm läuft eine Schneisse von Westen nach Osten und einige 30 Schritte von ihrem nördlichen Rande liegt im Walde versteckt noch das ca. 2 Meter hohe Fundament eines Wartthurms von kreisförmigem Grundriss aus Basaltsteinen. Der Thurm liegt gerade auf der Höhe des Bergzuges und blickte in das Land nach Norden und Osten hinaus; später diente er wohl der Burg als vorgeschobenes Werk, da die Aussicht von dem grossen Thurme durch den nach Osten etwas ansteigenden Bergrücken immerhin beschränkt war. Ein ganz ähnlicher Wartthurm liegt noch in seinen Resten auf dem grossen Schreckenberg, von unserem Standort gerechnet etwa eine halbe Stunde nach Süden.
Wahrscheinlich hat nun der erstgenannte Thurm mit der alten Befestigungslinie in Verbindung gestanden, doch ist man, was den Theil des Grenzzuges von Butzbach bis zum Schartenberg und weiter nach Westen betrifft, geneigt, denselben dem späteren Mittelalter zuzuschreiben, während der erste Theil, von Butzbach bis Knickhagen, seinen Ursprung sicher den Franken verdankt. Es ist also immerhin möglich, dass auf der Burgstätte einst in grauer Vorzeit die Schaaren des grossen Karl gelagert haben. Jahrhunderte zogen nun vorüber, mit dem letzten fränkischen Grafen des hessischen Sachsengaues (Eberhard 939) brach die Macht des südlicheren deutschen Stammes in dieser Gegend zusammen, die Sachsen erhoben wieder ihr Haupt und ein sächsischer Graf erbaute eine Feste auf dem Schartenberg. Dies wird nicht lange nach dem Jahre 1000 geschehen sein.
In dem Besitz dieser Grafenfamilie, deren Glieder sich zuerst meist nur Volkold, später gegen Ende des 11. Jahrhunderts aber von ihrem Hauptsitz der alten Malsburg nannten, finden wir denn unsere Burg zuerst erwähnt. Doch war der erste bekannte Inhaber keiner jener alten Haudegen, sondern eine Dame, Anna, welche um's Jahr 1020 lebte. Von dieser erbte der Graf Volkold von Malsburg das Schloss um die Wende des 11. Jahrhunderts. Geschichtlich ist über diese Zeit nichts bekannt; wir haben zwar seiner Zeit (cfr. „Wilhelmshöher Fremdenblatt“ d. v. J.) gehört, dass Kaiser Heinrich IV., als er 1071 von dem Dörnberg aus den auf dem Burghasunger Berge lagerndem Otto von Nordheim längere Zeit beobachtete, oft als Gast des Burgherrn auf dem Schartenberg geweilt, doch sind die Quellen, auf welche sich diese Notiz stützt, noch nicht recht in das Licht der Geschichte gerückt. Graf Volkold nahm die Burg Schartenberg dann 1124 von Mainz zu Lehn, seine Nachkommen aber siedelten bald in die Wetterau über, wo sie um's Jahr 1204 als Grafen von Nidda ausstarben. Bei Gelegenheit dieser Lehnsauftragung nun erscheint zum ersten Male ein Name Stefan; der Träger desselben ist der Ahnherr des Geschlechts, das, sei es als Burgherren oder als Burgmannen, bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts im thatsächlichen Besitz des Schlosses war, der erste geschichtlich bekannte von Schartenberg.
Mehr denn 130 Jahre blieb der Erzbischof von Mainz der Oberlehnsherr der Burgbewohner, doch gingen diese zum Theil öfters ihre eigenen Wege, die mit denen des Kirchenfürsten nicht immer zusammentrafen. So tobte zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch die Thäler um den Schartenberg eine Jahre dauernde wilde Fehde, die ihren Ausgang in Erbstreitigkeiten genommen zu haben scheint.
Zwei ältere Brüder von Schartenberg standen allein gegen ihre eigenen jüngeren zwei Bruder und den Adel der ganzen Nachbarschaft , die von Gudenburg, die Wölfe und Grope von Gudenburg u. A. Die älteren Brüder hatten die beiden jüngeren (vielleicht Stiefbrüder) aus der Burg vertrieben, ebenso einen der Familie Grope, welche damals schon das im Nordwesten gelegene kleinere Schloss bewohnt zu haben scheint; Mord und Brand wechselten einander ab, bis endlich der Erzbischof von Mainz die Fehde auf einem Sühnetag zu Fritzlar (1213) beilegte.
Von nun an scheinen die Schartenberger den Pfad des Gerechten gewandelt zu sein; als Paladin Bischof Simons von Paderborn machte sich der Ritter Albert einen glänzenden Namen, der weit über die Grenzen seiner Burg einen guten Klang hatte, der letzte einer Zeit, in der das Mainzische Rad in dieser Gegend das Sinnbild der Herrschaft war. Dann erschien Heinrich von Brabant, das Kind von Hessen und wendete sein besonderes Augenmerk auf unsere Fluren; es gelang ihm schon frühe, die Söhne des Ritters Albert nach dessen Tode in sein Interesse zu ziehen. Im Jahre 1269 hat er festen Fuss auf der Burg gefasst, vermuthlich hatten die von Schartenberg ihm das Öffnungsrecht zugestanden, was sich jedoch nur auf die obere Burg bezog. Die untere nämlich war von ihrem Besitzer Dietrich Grope an den Bischof von Paderborn verkauft. Die mannigfachen Bemühungen, von Mainz und Paderborn, den Landgrafen wieder aus der Burg zu drängen, blieben ohne Erfolg und im Jahre 1294 kam der Schartenberg zum grössten Theile ganz an Hessen.
Die Treue der von Schartenberg zu dem Hause Hessen lieb unwandelbar, der heuchlerische Versuch des jungen Otto, seinen Vater Heinrich aus der Regierung zu drängen, fand auf dem Schartenberg mannhaften Widerstand (ca. 1296). Die Flammen loderten zum Himmel, als dort drüben die Vesten auf den beiden Gudenbergen zusammenbrachen, aber, wenn auch das Dunkel, welches auf deren Untergang liegt, noch nicht von der Geschichte gelichtet ist, zweifeln wir nicht, dass die Schartenberger dem gestreiften Löwen die Treue hielten, wenn auch ihnen so nahe verwandte Geschlechter, wie die Stämme von Gudenberg es waren, ihre alten Stammsitze verlassen mussten. Im 14. Jahrhundert war es der Ritter Stefan, der lange Jahre hindurch dem Landgrafen Heinrich dem Eisernen nahe stand, der als Landvogt von Hessen den Landfrieden überwachte, der selbst bei dem Feinde, dem Mainzer Erzbischof, so angesehen war, dass er ihn ausersah, eine Burg (Haldessen bei Grebenstein) einer Vereinbarung zu Folge, niederzubrechen. Als Ritter Stefan (um 1375) kinderlos starb, stand der Hauptstamm des Geschlechts auf zwei Angen und dem letzten Schartenberger Hermann war nur noch eine kurze Lebenszeit beschieden; nachdem er noch im Jahre 1380, unterstützt von den ihm nahe verwandten von der Malsburg und von Dalwigk auf der Schauenburg, mit dem Abt Bodo von Corvei in Fehde gelegen, starb er ziemlich betagt im Jahre 1382 oder 1383.
Die Burg fiel nach seinem Tode wieder ganz den Landgrafen heim und diese wiesen sie ihren Amtsleuten als Wohnsitz an oder verpfändeten sie mit dem gleichnamigen Gerichte, so an Friedrich von Hertingshausen, Reinhard, von Dalwigk, Johann Spiegel, Dietrich von Schachten und zuletzt an den Marschall Hermann v. d. Malsburg.
Von den zahlreichen Kämpfen, welche in diesem Theile des Hessenlandes ausgefochten wurden, ist die Burg zweifelsohne öfters berührt worden, doch haben sich nur ganz vereinzelte Notizen in Bezug auf den Schartenberg erhalten; in feindlichen Besitz ist das Schloss niemals gekommen. Im Jahre 1424 lagen die von Spiegel, Malsburg, Asseburg etc. im Bunde mit der Stadt Hofgeismar wieder einmal gegen Hessen in Fehde, die wie üblich durch Wegtreiben des Weideviehes, Zerstörung der Saatfelder u. dergl. geführt wurde. Bei dieser Gelegenheit kam denn auch der Schartenberg an die Reihe. Der Mainzische Amtmann auf dem Schloss Schöneberg, Johann Spiegel, war des landgräflichen Schultheiss auf dem Schartenberg Feind geworden und bediente sich einer damals, wie es scheint, nicht seltenen Kriegslist um unvorbereitet den Feind zu schädigen. Den Fehdebrief liess er also am Nachmittag des 3. November an einem entfernten Punkte, in Kirchhain, an den Landgrafen abgeben, während er selbst am Vormittag dieses Tages vor Grebenstein Schafheerden forttreiben liess; nach weiteren Plünderungen im Diemelthal erschien er einige Tage später mit den Bürgern von Hofgeismar mitten in der Nacht vor dem Schloss Schartenberg, wurde jedoch von der wachsamen Besatzung zurückgewiesen; er zerstörte die Schläge und Zäune unter der Burg, wahrscheinlich ging hierbei auch das dicht am Bergabhang liegende, damalige Dorf Rangen in Flammen auf — und wandte sich dann über den Berg nach Fürstenwald, welches Dorf löblicher Sitte gemäss ebenfalls angesteckt wurde. Nach einigen Tagen erschien der Landgraf Ludwig, rückte mit fliegendem Banner vor Hofgeismar, beschoss die Stadt und verwüstete die Umgegend, was dann wieder das Signal zu neuen Kämpfen wurde.
Die hessischen Chronisten erzählen ausserdem vom Jahre 1472 von einer Niederlage des Bürgeraufgebots der Stadt Frankenberg, welche unter dem Schartenberg stattgefunden haben soll; an der Thatsache ist nicht zu zweifeln, doch bezieht sich diese Notiz auf die Kölnische Feste Scharfenberg bei Brilon, ebenso wie die Nachricht, dass Landgraf Heinrich dies Schloss habe auf seinem Zug nach Linz a. Rhein zerstören lassen. Bei dem Feldzug der Hessen gegen die Stadt Volkmarsen (1476) war auch unser Schloss betheiligt, es stellte zwölf Wagen zum Transport des Proviants; der damalige Amtmann war Heinrich von Boineburg.
Die Zeit der Bergschlösser war nun dahin und nicht lange nach den erzählten Ereignissen scheint auch der Schartenberg verlassen zu sein; die zunehmende Treffsicherheit der Feuergeschütze war bekanntlich von ausschlaggebendem Einfluss auf das Befestigungswesen und es ist bei einem Blicke auf die Lage der Burg leicht einzusehen, dass das Schloss von dem dominirenden, östlich anstossenden Bergrücken in wenig Stunden in Trümmer geschossen werden konnte. Man unterliess deshalb ferner Aufwendungen, die Werke im Stand zu halten. Zwar wurde noch einer der letzten Pfandinhaber, Dietrich von Schachten, im Jahre 1490 vom Landgraf Wilhelm angewiesen, 200 Gulden an dem Schloss zu verbauen, doch scheint dies entweder gar nicht, oder in recht wenig befriedigender Weise geschehen zu sein, denn im Jahre 1518 beschreibt eine Urkunde den Schartenberg schon als „gantz verwüst und dermass bauwfällig, dass sich also nymandts zur Wohnung daruff enhalten mag." Eine spätere Zeit, welche geringen Sinn hatte für die altersgrauen Zeugen vergangener Jahrhunderte, glaubte die Trümmer der Burg am zweckmässigsten zur Herstellung von Schweineställen und anderen derartigen ökonomischen Gebäulichkeiten verwenden zu müssen. Als man aber anfing, die Steine aus ihren Lagern zu lösen und herabzustürzen, brachen die Kalkquadern in Trümmer, was leicht vorauszusehen war; man stand also von dem ruhmwürdigen Werke ab und überliess die Zerstörung dem langsamen aber sicher wirkenden Einfluss von Wind und Wetter.
In der Nachbarschaft des Schlosses Schartenberg war (von der Mitte des 14. Jahrhunderts an) auch ein Freistuhl des Vehmgerichts. Solche Freistühle bestanden ausserdem bei Zierenberg und Grebenstein, jenseits, der hessischen Grenze aber bei Volkmarsen, bei Ehringen und Landau, der berühmteste der ganzen Gegend bei Freienhagen. Die Grafen von Waldeck hatten (1371) den Landgrafen Hermann in die Gemeinschaft des Stuhles zu Freienhagen aufgenommen und dieser setzte, nachdem er vom Kaiser Wenzel die Belehnung empfangen, 1385 den Freigrafen Christian von Vollmar ein, welchen der Kaiser dann bestätigte. Es waren dies die Freistühle ,,unter den Linden" vor dem Schlosse Grebenstein, vor Zierenberg und vor dem Schlosse Schartenberg. König Ruprecht bestätigt hierauf im Jahre 1408 für die gleichen Gerichtsstellen Hans Frey; ihren Wohnsitz hatten diese Richter der hessischen Stühle, wenigstens in späterer Zeit, zu Wolfhagen (1476 Hans von Twern). Dies Freigericht auf dem Schartenberg bestand bis zum Eingang der übrigen, doch ist es nicht möglich, hiervon einen bestimmten Zeitpunkt anzugeben. Was den Ort angeht, wo das „heilige, heimliche Gericht bei gespannter Bank“ gehegt wurde, so wissen wir, dass dies meist ein offener, oft hoch gelegener und allgemein bekannter Platz war; wir dürfen deshalb unbedenklich annehmen, dass der Freistuhl Schartenberg auf jenem Turnierplatz im Osten der Burg stand, zumal sich nirgends ein anderer geeigneter Platz in der Umgebung des Schlosses vorfindet. Das Freigericht, was hier Jahrhunderte lang gehegt wurde, ist vielleicht aus dem eingegangenen Dorfe Hedwigsen (eine halbe Stunde westlich vom Schartenberg, südlich unter dem Falkenberg) hierher verlegt.
Der Thurm dort oben auf dem zerfallenen Schlosse, ist, wie wir zu erwähnen Gelegenheit hatten, an der Wetterseite in sehr bedenklichem Zustande und wäre es wohl der Mühe werth, zu erwägen, ob nicht einem weiteren Einstürzen des Mauerwerks jetzt noch durch Aufwendung von geringen Mitteln beizukommen, und der Thurm etwa durch Anlage einer Treppe im Innern, wie es schon früher der Fall war, zu einem romantischen Aussichtspunkt umzuschaffen wäre; der Sektion Zierenberg des Niederhessischen Touristenvereins dürfte die Ermittelung der nothwendigen Summe nicht schwer fallen.
Jahrhunderte zogen über seinem altersgrauen Mauerwerk dahin, er sah unten im Thale die Schaaren der Kaiserlichen sich vorüberwälzen im 30jährigen Kriege, die Bataillone der Hessen und Engländer in jener Nacht des 6. September 1760 vorüberziehen , um die Franzosen in Zierenberg zu überfallen, nun steht er einsam im Walde, der Regen rauscht herab und der Schnee wirbelt um die Wölbung des Thurmes — er aber mahnt uns noch an ein Geschlecht, das zuerst in diesem Theil des Landes auf die Seite des hessischen Fürstenhauses unerschrocken trat und ihm bis zu seinem letzten Gliede die Treue hielt.

Ende von Teil 2, erschienen Januar 1895 – Teil 1, erschienen Dezember 1894

Quelle: Dr. Wilhelm Chr. Lange: Schartenberg. In: Touristische Mittheilungen aus beiden Hessen, Nassau, Frankfurt a. M., Waldeck und den Grenzgebieten: Dezember 1894, S. 69-72 und Januar 1895, S. 82-84.

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